Reisebericht – Trekking im Hohen Atlas (von Alexandra Eder-Gapp)
Trekking für Anfänger im Hohen Atlas von Marokko
Die Journalistin Alexandra Eder-Gapp ist im letzten Jahr mit uns in den Hohen Atlas gereist und hat sich so Eindrücke von Marokkos Besonderheiten und Einzigartigkeit gemacht. Sie hat alles in einem Artikel festgehalten:
Abschied vom Komfort
In Marrakesch einer der vier Königsstädte Marokkos trifft an einem heißen drückenden Augustnachmittag vorarlbergerischer Charme auf steirischen Perfektionismus. Während die SteirerInnen mit professioneller Ausrüstung und Wetteifer auffallen, ist bei den Vorarlbergerinnen Hilfsbereitschaft, Humor und Teamgeist tonangebend. Angst und Zweifel, ob ich dem Ganzen gewachsen bin, machen mir erstmals zu schaffen. In der nach Tausend und einer Nacht eingerichteten Empfangshalle des Hotels erfahren wir bei einer Tasse heißen Tee alle Details zur geplanten Tour. Schon nach zwei Tagen des Eingewöhnens, lassen wir den Luxus eines sauberen Hotelzimmers in einem klassischen Riad hinter uns. Verlassen die Hitze und Lebendigkeit Marrakeschs um unsere Reise in den Hohen Atlas anzutreten. Während die Klänge von Tinariwen, einer afrikanischen und hierzulande sehr populären Band, aus dem Lautsprecher des Geländefahrzeuges trällern, werden die Straßen steiler und kurviger. Kinder winken, sie halten in ihren Händen Weintrauben zum Verkauf. Männer stehen am Straßenrand. Sie hoffen bei jedem vorbeifahrenden Auto auf eine Mitfahrgelegenheit. Vor uns fährt ein Lastauto mit einer Kuh, die sich vor Aufregung in sich selbst verstrickt hat und nun mit aller Gewalt auf- und abspringend versucht sich loszureißen. Ein schauriges Schauspiel, das durch das Anhalten des Fahrzeuges, Allah sei Dank, sein Ende findet. Es wird merklich kühler und erträglicher, als wir uns dem Ait Bougmez Tal nähern, dem Ausgangspunkt unserer Trekking-Tour. Dort treffen wir auf unseren Bergführer Zakaria, die Maultiertreiber und unseren Koch Achmed. Er wird die nächsten zehn Tage für unser leibliches Wohl sorgen. Nach einer Stunde Wanderung schlagen wir unser erstes Zeltlager für die Nacht am Fuße des Tiz Imi auf einer Höhe von 2000 Meter auf. Unser Lager besteht aus kleinen Zwei-Mann Zelten, einem Gemeinschaftszelt und dem Zelt des Koches. Zur Verrichtung der Notdurft gibt es wie in den Filmen über Cäsars Feldzug gegen Britannien ein eigenes kleines Zelt in dessen Mitte ein Loch gegraben wird. Einzelheiten über diese Art der Toilette möchte ich Ihnen ersparen. Nach dem ersten Blick weiß ich, dass ich lieber den Schutz der umliegenden Steine für meine Darmentleerung bevorzugen werde. Die abendliche Körperpflege, sitzend im kalten klaren Wasser des nahegelegenen Baches zu vollführen, ist stattdessen eine wunderbare Abwechslung zu den gewohnten Waschritualen des zivilisierten Alltaglebens. Als sich die Sonne hinter den Bergen für heute verabschiedet, sitzen wir unseren Tee genießend im Gemeinschaftszelt zusammen. Vor uns die Wanderkarte, anhand der wir unsere Route für den nächsten Tag besprechen. Langsam fällt die Hektik der vergangenen Tage von uns ab. Die ungewohnte Stille wird nur durch das Blöken der Schafe und dem Grummeln der Maultiere unterbrochen. Das Schreien der hungrigen Mulis fährt uns durch Mark und Bein.
Die Luft wird dünner
Am nächsten Morgen werden wir mit einem großartigen Frühstück in einer wunderbaren Sonnenaufgangs-Bergkulisse geweckt. Das Lager wird abgebaut, die schweren Gepäckstücke werden den Mulis aufgespannt. Wir tragen nur unser eigenes Tagesgepäck, welches durch meine Fotoausrüstung etwas schwerer wiegt. Es wird ein heißer Tag, wir binden unseren Chech, eine Art Turban, noch etwas ungeschickt, um uns vor der Sonne zu schützen. Die anfänglich üppigen grünen Felder wechseln schnell zu erdig steiniger Naturlandschaft. Das Gehen ist noch ungewohnt, schon nach den ersten zurückgelegten Kilometern schnaufe ich. Es geht bis zur Erreichung des ersten Passes am Tizi n´Ait Imi auf 2900m Höhe kontinuierlich bergauf. Die Luft wird merklich dünner, das bekomme ich immer dann zu spüren, wenn ich die Gruppe wieder einholen muss, nachdem ich zum Fotografieren stehengeblieben war. Den Anderen sind die Beschwerlichkeiten des Aufstieges nicht anzumerken. Meine Motivation ist im Keller, ich bin müde und erschöpft und frage mich, wie ich die nächsten Tage überstehen soll. Als meine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreicht, sind wir am Pass angelangt. Wir werden nicht nur mit einem atemberaubenden Ausblick auf die umliegenden Berge, die im Licht-Schattenspiel der Sonne rot-gelbe Farbnuancen zum Besten geben, belohnt. Wir sehen uns auch einem sehr köstlichen Picknick – bestehend aus Oliven, Tomaten, Käse und selbstgebackenen Brot – gegenüber. Nach dem Essen sind meine Kräfte wieder zurückgekehrt. Es ist gerade die Zeit des Ramadans, das heißt für unser gesamtes Begleitteam, diese Strapazen ohne Essen und Trinken bis zum Sonnenuntergang auszuhalten. Moslems werden schon als Kinder langsam in die bis zu 30 Tage andauernde Fastenzeit eingeführt. Ein Ritual, das nicht nur den Glauben stärkt, sondern auch dem Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl
dienlich ist. Die 3-stündige Wanderung zum nächsten Camp führt uns am Flusslauf des Oued Sain an Felsformationen vorbei die an Gegenden des Grand Canyon erinnern. Hier wurden auch viele der berühmten Szenen aus den Winnetou Filmen gedreht, erzählt unser Bergführer sichtlich stolz. Kurz bevor wir das Lager erreichen, wird es merklich kühler und es beginnt zu regnen. Wir treffen auf ein Mädchen und einen Jungen, die in den Bergen nach Kräutern suchen. Unser Bergführer macht ihnen Feuer und versorgt sie mit Nüssen. Das Nachtlager schlagen wir diesmal neben einem Fußballplatz in der Nähe einiger Berberfamilien auf. Mein Zelt ist genau davor, so kann ich das Spiel der im Regen spielenden Einheimischen meine Füße im Schlafsack wärmend wunderbar verfolgen.
Abends sitzen wir wieder im Schein der Kerzen, genießen das umfangreiche und köstliche Mahl, das Achmed aus den einfachsten Zutaten für uns gezaubert hat. Dazu gibt es Louisa, einen heißen Tee aus Zitronenverbene. Die Marokkaner schwören auf die magen- und nervenberuhigende Wirkung dieses Heilkrautes. Als wir
danach das gesamte Begleitteam kennenlernen, ist das Gelächter groß als sich eine der Teilnehmerinnen als Louisa vorstellt, ist Louisa hierzulande doch ein heiliges Getränk benannt nach einem berberischen Frauenschmuck. Am nächsten Morgen hat sich die Sonne zu unserer Freude wieder gegen Kälte und Regen durchgesetzt. Oulaid bringt uns grinsend eine Schüssel mit Wasser, gerade genug, um sich damit die Zähne zu putzen und die Hände und das Gesicht zu waschen. Nach dem Frühstück machen wir uns daran uns für die nächste sechsstündige Tour vorzubereiten. Dazu gehört das Filtern von Wasser genauso wie die Vorkehrungen
für das momentan sehr wechselhafte Wetter zu treffen und dementsprechende Kleidung in den Tagesrucksack zu packen. Langsam habe ich mich an das Gehen gewöhnt und erfreue mich der vielseitigen wunderschönen Landschaft, die diese Tour zu bieten hat. Satte tiefgrüne Getreideterrassen wechseln sich ab mit kargen Schlucht-Landschaften. An den begrünten Hochebenen treffen wir immer wieder auf Schaf- und Ziegenherden, die meistens von Kindern der Berberfamilien beaufsichtigt werden. Wir wandern auf uralten Karawanenwegen, verschmelzen im stundenlangen Gehen mit den Bergen die wir besteigen mit dem Fluss dessen Wasser wir betreten. Gespräche über das Leben, den Alltag, die Probleme, die Hoffnungen wechseln sich ab mit der in uns ruhenden Stille. Jeder Schritt führt zu mehr Zufriedenheit, mehr Gelassenheit. Ein Mann mit einem neugeborenen Lämmchen kommt uns entgegen, er legt es vertrauensvoll in unsere Arme. Die Einfachheit und Selbstverständlichkeit seiner Geste ist berührend. Wir nehmen es an uns, halten es, wiegen es. Das Glück ist kein Vogerl, sondern ein Lamm.
Aufstieg im Sturm
3 Tage später nähern wir uns dem Höhepunkt unserer Reise, der Besteigung des 4.070 m hohen M´Goung. Inschallah – So Gott will werden wir einen guten Aufstieg haben. Es ist noch dunkel als wir uns mit Stirnlampen und leichtem Gebäck auf den Weg machen. Die letzten Tage waren ein geeignetes Training um die neunstündige Wanderung mit 1400 m Aufstieg gut zu bewältigen. Vorbei geht es auf den Hochgebirgsketten an weidenden Kamelen, die den hier im Sommer lebenden Halbnomaden gehören. Am Fuße des Irhil M´Goun beginnt es plötzlich zu regnen. Der aufkommende Sturm erschwert das Anziehen der Regenbekleidung. Die Steine unter unseren Füßen werden größer, das Vorwärtskommen wird zunehmend schwieriger für uns. Für die letzten steilsten 300 Meter ziehen wir unsere warmen Jacken
an. Wir helfen uns gegenseitig um alles was wir an warmer Kleidung besitzen noch anlegen zu können. Mit diesem schlechten Wetter hat Mitte August niemand von uns gerechnet. Damit mir die Kraft für das letzte Stück der Besteigung nicht ausgeht, beginne ich mich mental und energetisch aufzubauen. Ich gehe Stück für Stück, ohne ständig nach oben zu blicken. So erspare ich mir unnötige Frustrationen und negative Glaubenssätze wie: „Oh nein, dass schaff ich nie“. Oder: „Oh Gott, jetzt gehe ich schon ewig und bin dem Gipfel noch immer kein Stück näher gekommen“. Nach einiger Zeit drehe ich mich um, damit ich sehen kann wie viel an Weg ich schon zurückgelegt habe. Das ist aufbauend und motiviert. Der Glaube versetzt Berge, sagt man, und meine positive Einstellung lässt mich als Erste den Gipfel erreichen. Nach meinen anfänglichen Ängsten und Bedenken erfüllt mich so etwas wie Stolz. Wir haben es geschafft, bei diesen schlechten Wetterverhältnissen einen 4.000er zu besteigen. Die beißende Kälte setzt uns allen zu, was uns nicht daran hindert diese Momente fotografisch festzuhalten. Meine Finger, nur kurz zum Abdrücken des Auslösers von den dicken Handschuhen befreit erstarren. Jetzt ist es aber höchste Zeit den Berg so schnell wie möglich zu verlassen. Gute vierzig Minuten müssen wir im dichten Nebel Richtung Osten auf dem ungeschützten Kamm entlanggehen. Der aufkommende orkanartige Schneesturm fordert von uns volle Konzentration. Da ich kleidungstechnisch nicht gut ausgestattet bin, macht mir die Kälte und Nässe sehr zu schaffen. Die wahren Abenteuer sind im Kopf, singt Andre Heller. Stimmt nicht, denke ich, die kann man jederzeit beenden wenn man möchte.Ein Abenteuer zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man nicht weiß, wann und wie es zu Ende geht. Wir versuchen uns gegenseitig zu motivieren, indem wir uns bestätigende Blicke zuwerfen. An Gespräche ist aufgrund der Wettersituation nicht zu denken. So unglücklich unsere Lage auch in diesem Moment ist, spüre ich auch Zuversicht und eine höhere Kraft, die mich sicher leitet. Endlich haben wir die Stelle erreicht, an der wir den Kamm verlassen können. Wir sind überglücklich als sich die Lage wieder entspannt. Von nun an geht es zügig bergab. Das Steingeröll eignet sich dazu sich auf die Fersen zu stellen und den Berg hinunter zu rutschen. Der Sturm hat nachgelassen, schon nach kurzer Zeit wird es um einiges wärmer und milder. Völlig durchnässt und verdreckt kommen wir im Camp an. Wir sind müde und erschöpft aber mit uns zufrieden, wie gut wir diese Situation zusammen gemeistert haben. Abends singt unser Begleitteam im Schein des Mondes von der Liebe, der Schönheit und Gastfreundschaft ihres Landes. Unter dem tausend Sternen beleuchteten Nachthimmel wachsen wir die Touristengruppe mit dem berberischen Team im Klang der Trommeln, tanzend, lachend für Augenblicke zu einer Einheit zusammen.
Das Schulprojekt École vivante im Ait Bouguemez
Die École vivante, ein Schulprojekt im Hohen Atlas Marokkos, wird immer wieder finanziell von Weltweitwandern unterstützt und empfängt regelmäßig Kunden des Reiseveranstalters, welche vor Ort ins Projekt eingeführt werden und einen anregenden gegenseitigen Austausch erleben.
Hier lesen Sie mehr über dieses Projekt: École vivante
„Ich würde sagen, dass Marokko einer Zimmerflucht gleicht, deren Türen sich öffnen, wenn man durch sie hindurchgeht… Jede Tür eröffnet einen anderen Ausblick: auf einen Raum, ein Gesicht, eine Stimme, ein Geheimnis.“
Tahar Ben Jelloun